1. DIE BRIEFMARKE ALS EIN ORT DER
REPRÄSENTATION
BEDEUTENDER FRAUEN
Es ist eine merkwürdige Geschichte
mit diesen Frauen-Briefmarken.
Als 1849 in Deutschland die erste Briefmarke erscheint, bedurfte
es weiterer
99 Jahre, bis 1948 mit Käthe Kollwitz die erste tatsächlich
gelebte Frauenpersönlichkeit auf einer Briefmarke erscheint.
Die Motive, die wir auf Briefmarken
sehen, sind Abbilder der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Sie zeigen
das Land mit seinen Bräuchen, seinen Gewohnheiten, seinen Lieblingsthemen
und Idolen. Diese gesellschaftliche Wirklichkeit gilt auch in Bezug
auf solche Briefmarken, die Frauen abbilden.
Diese Briefmarkenveröffentlichung
1948 mit Käthe Kollwitz ist nicht hoch genug einzuschätzen,
weil hier die Frau nicht mehr - wie seinerzeit - als namenlose Allegorie,
als Königin, Rotkreuzschwester oder anonyme Volkstrachtträgerin
erscheint, sondern als eine konkret mit Namen ausgewiesene gelebte
Persönlichkeit.
Bemerkenswert ist, daß die Frau
- in der deutschen Briefmarkenwelt - erst nach 1945 entdeckt wird.
Weder zur Kaiserzeit, noch zur Weimarer Zeit und erst recht nicht
zur Nazizeit gab es auch nur eine Frau, die für Wert befunden
wurde, auf
einer Briefmarke verewigt zu werden. Die Gründe dazu werden
noch erläutert.
Wenn hier von Briefmarken die Rede
ist, so sind damit ausschließlich Briefmarken gemeint, die
eine tatsächlich gelebte Frau dokumentieren. Eine andere Variante
sind jene Briefmarken, auf denen Frauenbilder, -Symbole oder Allegorien
bzw. Nachbildungen von Gemälden dargestellt werden. In der
Nazizeit ist keine konkrete Frau auf einer Briefmarke erschienen,
sehr wohl aber die unterschiedlichsten Briefmarken mit Frauen-Symbolen
und Allegorien.
Der Abschnitt 7. ist diesem Thema gewidmet.
So leben die Frauenbriefmarken, wenn man sie ins Verhältnis
setzt zur Menge der Briefmarken auf denen Männer abgebildet
sind, noch immer in der Diaspora. Aber damit erregen sie, wie alle
Minderheiten, unser Interesse.
Als Briefmarkensammler von Frauenporträts
lernte ich Frauen kennen, die mir vorher unbekannt, oder bestenfalls
vom Namen bekannt waren. So habe ich erst über die Briefmarke
die Verfassungsmutter Elisabeth Selbert kennengelernt, die couragierte
Juristin aus Kassel, die es 1949 durchsetzte, daß die Gleichberech-tigung
von Mann und Frau im Grundgesetz verankert wurde. Ihr ist ein ganzer
Abschnitt gewidmet.
Die Briefmarken erzählen von Sophie
Scholl, Anne Frank, Edith Stein, Hilde Coppi, Maria Grollmuss, Käthe
Niederkirchner und von Frauen, die im national-sozialistischen Deutschland
verfolgt wurden und Widerstand leisteten.
Stellvertretend für die vielen Frauen, die von den Nazis getötet
wurden, steht das Leben der Käthe Niederkirchner, die 1944
im KZ Ravensbrück ermordet wurde.
Ihr ist der Abschnitt 6. gewidmet.
Zwei Briefmarken mit Frauenmotiven
bedürfen einer besonderen Erwähnung, -
weil sie als Frauenbriefmarke im eigentlichen Sinne gar nicht erschienen
sind!
Es ist zum einen die Briefmarke, die
den Maler Pesne ehrt, mit seinem Motiv
der Tänzerin Barbarina und zum anderen die Briefmarke, die
den Maler Otto Dix ehrt, mit seinem Bildnis der Tänzerin Anita
Berber.
Die Barbarina wurde vom "Frauenfeind" Friedrich dem Großen
so verehrt, daß er sie 1741 in Venedig entführen und
nach Deutschland verschleppen ließ.
Mit Anita Berber wird die Schauspielerin und Tänzerin der sogenannten
Goldenen 20er Jahre vorgestellt. Sowohl ihre Tänze als auch
ihre skandalträchtigen Auftritte machten sie zur Ikone der
berüchtigten 20er Jahre Berlins.
In Abschnitt 5. wird ihre ebenso aufregende wie tragische Lebensgeschichte
erzählt.
Im Folgenden ist von insgesamt 93 Frauenbriefmarken
die Rede, die in der Zeit
von 1948 bis März 2001 erschienen sind. Diese 93 Exponate sind
eine Zusammenfassung der drei Sammelgebiete
a) Bundesrepublik Deutschland
b) Berlin (West) und
c) DDR
Diese sind nach ihrem Erscheinungsdatum
sortiert und unter dem Abschnitt 2. zusammengefaßt.
Nun hat es aber mit Frauenbriefmarken
eine besondere Bewandtnis. Sie
erzählen nur dem etwas, der sich ihnen interessiert und aufgeschlossen
nähert.
Der Abschnitt 10. will hierzu eine
kleine Hilfe leisten, in dem alle Frauen, die auf Briefmarken veröffentlicht
wurden, in Form einer Kurzbiographie alphabetisch dargestellt werden.
Dem Normalverbraucher von Briefmarken
dürfte das so ziemlich egal sein. Er kauft eine Briefmarke,
um seinen Brief, seine Postkarte oder sein Päckchen abzuschicken.
Die Briefmarke ist für ihn nur Mittel zum Zweck. Der durchschnittliche
Postkunde sieht in der Regel nicht, welche Briefmarke seinen Brief
ziert. Der Briefmarkensammler sieht das anders. Für ihn sind
Briefmarken wertvolle Objekte, eben POST-WERTzeichen, wie der Fachbegriff
lautet.
Aber so ist das eben mit Wertschätzungen,
auch bei Briefmarken. Ihr Wert er-schließt sich erst dann,
wenn wir vom reinen Gebrauchswert absehen und uns auf das einlassen,
was die jeweilige Briefmarke - hier das Frauenporträt - vermitteln
will. Wir sehen immer nur das, was wir erleben. Und hier erleben
wir Frauen aus ganz unterschiedlichen Zeiten, Lebenswelten und sozialen
Zusammenhängen.
Frauenporträts auf Briefmarken
erzählen die Lebensgeschichten bedeutender Frauen. Das ist
auch ein wenig Zeitgeschichte, ein bißchen vernachlässigter
Frauengeschichte und nicht zuletzt ein Teil unser aller Geschichte.
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